5. Nov. 2021 Lesezeit: 4 Min.

Nebenwirkungen von Medikamenten bei Allergien, MCAS und Urtikaria

Nebenwirkungen von Medikamenten bei  Allergien, MCAS und Urtikaria
Nebenwirkungen anticholinerger Medikamente bei Allergien und Mastzellerkrankungen

Gerade Mastzellpatienten haben oft einen „bunten Strauß“ an verschiedenen Medikamenten, um die immerwährende Freisetzung der vielen Mastzellmediatoren zu unterbinden bzw. die Empfänglichkeit ihrer Zellen gegenüber diesen Stoffen zu blockieren.

Ein Problem ist die anticholinerge Wirkung bestimmter dafür eingesetzter Medikamente, die sich bei Kombination aufaddieren (kumulieren) können und dann längerfristig mit einem höheren Risiko für Nebenwirkungen einhergehen können. Die sogenannten anticholinergen Effekte, insbesondere der alten Generationen von Antihistaminika, machen sich vor allem im zentralen Nervensystem bemerkbar.

Was sind anticholinerge Nebenwirkungen?

Ein chemischer (Über-)Trägerstoff im Nervensystem ist Acetylcholin. Acetylcholin ist insbesondere im Gehirn ein wichtiger Botenstoff und wird deswegen auch als Neurotransmitter bezeichnet.

Im unwillkürlichen bzw. fachsprachlich autonomen Nervensystem vermittelt Acetylcholin viele körperliche Prozesse und ist der hauptsächliche Überträgerstoff (Neurotransmitter) des parasympathischen Nervensystems. So hängen z.B. Speichelfluss, Magen-Darm-Bewegung (Motilität), Puls und Blutdruck davon ab.

Dadurch erklärt sich, warum stark anticholinerge Medikamente, wie z.B. trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin und Antihistaminika der alten Generation, die stark die Wirkung des Acetylcholins hemmen, als Nebenwirkungen Verstopfung und Mundtrockenheit aufweisen.

Weitere Nebenwirkungen, die auf die anticholinerge Aktivität solcher Medikamente zurückzuführen sind, sind unter anderem: trockener Mund, verschwommenes Sehen, Schwindel, Müdigkeit, Probleme beim Wasserlassen bis hin zu Gedächtnisstörungen und Halluzinationen.

Die Behandlung allergischer Symptome

Gerade bei Patienten mit einer Mastzellerkrankung, sei es das Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS), Mastozytose, Urtikaria und Pseudoallergien, wie der NSAID-Intoleranz, kommt es aufgrund der Schwere der Symptome oftmals zur Kombination verschiedener Präparate und zur Einnahme höherer Tagesdosen. Sie sind nötig, um Symptome zu unterbinden bzw. erträglich zu machen.

Dies ist auch der richtige Ansatz, um die Lebensqualität zu erhalten und Betroffene zu unterstützen. Gefährlich sind die anticholinergen Effekte immer dann, wenn die Dosierungen von Antihistaminika bspw. immer weiter steigen und andere anticholinerge Medikamente dazu kommen.

Oftmals ist es für Betroffene nur schwer vorstellbar, dass das Antihistaminikum, was man immer gut vertragen hat, z.B. nun in Kombination mit einem Antidepressivum zu Nebenwirkungen führt und Schwindel und Müdigkeit diesmal nicht Ausdruck der Grunderkrankung sind.

Daher ist es wichtig, jede Medikation mit dem ärztlichen Fachpersonal zu besprechen, aber auch immer wieder gemeinsam mit diesen zu reevaluieren, ob all diese Medikamente ihren Nutzen erfüllen. Denn hier gilt, dass sich die anticholinerge Wirkung kumuliert, d.h. die Effekte addieren und verstärken sich gegenseitig.

Close-up image of vitamins and supplements, view from above
So kann das leider manchmal aussehen bei chronischen Erkrankungen...

Nebenwirkungen von Medikamenten bei Histamin-vermittelten Erkrankungen

Antihistaminika der neuen und alten Generation

Die meisten Allergiker oder Betroffenen kennen wahrscheinlich Lorano® (Wirkstoff Loratadin) und Cetirizin (auch frei verkäuflich). Viele (gerade stärker Betroffene) MCAS-Patienten nehmen langfristig Fexofenadin, Rupatadin (Urtimed®) oder anderen Antihistaminika der neueren Generation ein, die in Deutschland der Verschreibungspflicht unterliegen.

Neue Generation heißt, sie wirken weniger auf das zentrale Nervensystem und machen damit weniger müde als die „alten“ Antihistaminika. Zu letzteren gehören Dimentinden (Fenistil®) und Diphenhydramin. Diphenhydramin ist vor allem im englischsprachigen Raum bekannt und wird dort z.B. intravenös zur Kontrolle bei schwerem Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) eingesetzt. Es kann auch als kurzfristige Hilfe bei Einschlafstörungen eingesetzt werden.

Antidepressiva mit hohem anticholinergen Potential

Trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin, Imipramin oder Doxepin wirken anticholinerg und es kann zu unerwünschten Symptomen wie Mundtrockenheit, Harnverhalt, Verstopfung (Obstipation) oder einer erhöhten Herzfrequenz kommen.

Sie werden u.a. bei Fibromyalgie, chronischen Schmerzen, und Depressionen eingesetzt.

Anticholinerge Last als Maß für das anticholinerge Potential

Um einzuschätzen, wie hoch das Potential für anticholinerge Nebenwirkungen ist, hat sich ein Punktesystem etabliert: 0 heißt kein anticholinerges Potential, 1 – schwach, 2- mittleres, 3 – starkes anticholinerges Potential. Nach dem englischen Wort „anticholinergic burden“ heißt diese Klassifizierung das ACB-Punktesystem.

Die Punkte werden dann addiert. Im kumulativen Bereich bei über drei Punkten kann es insbesondere im Alter zu kognitiven Einschränkungen kommen und vor allem zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Demenz, weswegen ärztliches und pharmakologisches Fachpersonal dahingehend besonders sensibilisiert ist.

Die deutschen Forscher Kiesel, Hopf und Drey haben in einem aktuellen Forschungspapier von 2018 auf Basis der verschiedenen Quellen versucht, gängige Medikamenten in das Punktesystem einzuteilen. Den Studienautoren ist es ein Anliegen, dass der kumulative Effekt von anticholinergen Medikamenten („anticholinergic burden“), der bei vulnerablen Patientengruppen auftreten kann, und etwaige Langzeitfolgen reduziert werden.

Niedrig
(Score = 1)
Mittel
(Score = 2)  
Hoch
(Score = 3)  
Celecoxib, Ceterizin, Desloratadine, Diazepam, Famotidin, Lorazepam,
Midazolam, Mirtazapin
u.v.m.  
Cimetidin, Opipramol, Ranitidin, Tramadol
u.v.m.
Amitryptilin, Clemastin (Tavegil),
Diphenhydramin, Hydroxyzin, Doxepin, Trimipramin
u.v.m.  

Anticholinerges Potenzial bestimmter Medikamente

Auch in dieser Veröffentlichung zeigt sich, dass sich Forscher und Organisationen über das anticholinerge Potential bei manchen Medikamenten nicht einig sind: Fexofenadin, ein oftmals bei Mastzellerkrankungen eingesetztes Antihistaminikum, wird von zwei wissenschaftlichen Abhandlungen in die mittlere Kategorie (2) eingeordnet. Im Gegensatz dazu stehen die Einordnungen zweier anderer Forscherteams in die Kategorie 0 – also ohne anticholinerge Effekte.

Auch Desloratadin und anderen Antihistaminika wirken leicht (1) bis mittel (2) anticholinerg – je nach Veröffentlichung.

Daher teilte das Forscherteam aus Deutschland Fexofenadin und Desloratadin in die Kategorie 1 (schwache anticholinerge Aktivität) ein – als Mittelwert aus den verschiedenen, zusammengetragenen Quellen. Die H2-Blocker Cimetidin und Ranitidin werden unter mittlerer Aktivität (2) gelistet.

Benzodiazepine wirken leicht bis mittel anticholinerg.

Fazit

Bei Kombination von H1 und H2-Blockern mit weiteren Medikamenten kommt man schnell auf eine hohe anticholinerge Last als Mastzellpatient, die auch zu Nebenwirkungen führen kann. Diese Nebenwirkungen werden dann teilweise fälschlicherweise als Symptome der Grunderkrankung interpretiert.

Jedoch gilt: Bei manchen Erkrankungen oder bei sehr schweren Symptomen sind Medikamentenkombinationen notwendig, die eine hohe anticholinerge Last mit sich bringen können. Diese müssen teilweise, in Ermangelung von Alternativen, eingesetzt werden, solange die Nebenwirkungen sich in Grenzen halten.

Daher ist es ratsam, die eigene Polymedikation mit dem ärztlichen Fachpersonal stets auf Notwendigkeit der Einnahme der einzelnen Medikamente zu prüfen. Ergänzend hierzu sollten auch Lebensstilanpassungen oder eine Ernährungsumstellung ins Auge gefasst werden.

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